NEIN zum Krieg, gegen alle imperialistischen Staaten, für Frieden und Freundschaft unter den Völkern!

Position der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) zum Krieg in der Ukraine. Die PdAS veröffentlicht diese Stellungnahme, die ausführlicher ist als ihre Pressemitteilung vom 26. Februar, um ihre Analyse des Krieges in der Ukraine zu verdeutlichen.

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Inhaltsverzeichnis

  1. Wer trägt die Verantwortung?
  2. Was ist der aktuelle politische Kontext in Russland?
  3. Was ist die Rolle der NATO?
  4. Wie war die politische Lage in der Ukraine seit 2014?
  5. Warum wird gesagt, dass der Krieg seit 2014 andauert?
  6. Wie war die politische Situation in der Ukraine vor der Invasion?
  7. Die Analyse liegt vor, was ist jetzt zu tun?
  8. Warum sind die Sanktionen abzulehnen?
  9. Was ist sofort zu tun?
  10. Warum muss die Aufrüstung dringend verhindert werden?

Seit nunmehr drei Wochen herrscht in der Ukraine ein blutiger Krieg. Dieser löste einerseits berechtigte Empörung und eine begrüssenswerte Solidaritätsbewegung aus, führte andererseits aber auch zu einer weit weniger begrüssenswerten Stimmung des Burgfriedens. Wie bei allen Kriegen wird auf beiden Seiten eine hemmungslose Kriegspropaganda entfesselt. Zwischen Massenhysterie und Fake News wird es manchmal schwierig, eine rationale Linie zu wahren, da der Druck so gross und die Herausforderungen so komplex sind. Die PdAS veröffentlicht diese Stellungnahme, die ausführlicher ist als ihre Pressemitteilung vom 26. Februar, um ihre Analyse des Krieges in der Ukraine zu verdeutlichen und die Bedeutung ihres internationalistischen Engagements für den Frieden und gegen alle imperialistischen Staaten unter den gegebenen Umständen zu konkretisieren.

  1. Wer trägt die Verantwortung?

Als erstes halten wir folgendes fest: Verantwortung und Schuld für den Krieg trägt die Russische Föderation. Am 24. Februar 2022 gab Wladimir Putin den Befehl zur Invasion in die Ukraine mit dem erklärten Ziel, die dortige Regierung zu stürzen sowie die «Entnazifizierung» und «Entmilitarisierung» der Ukraine durchzusetzen. Das ist eine eklatante Verletzung der Souveränität der Ukraine, eine völkerrechtswidrige, kriminelle Handlung, die durch nichts zu rechtfertigen ist und die für die Ukraine und für Russland in einer nationalen Katastrophe enden könnte. Diese Tatsache darf weder relativiert noch verharmlost werden. Natürlich ist es unerlässlich, nicht bei der moralischen Empörung stehen zu bleiben. Nötig ist es, die weiter zurückliegenden Ursachen des Krieges und die unrühmliche Rolle der westlichen imperialistischen Mächte, der NATO und der aufeinanderfolgenden Regierungen in Kiew zu verstehen. Doch zuerst muss die schwerwiegende und nicht zu rechtfertigende Schuld Putins und seines Regimes zur Kenntnis genommen werden.

Man darf sich nicht von den Phrasen wie etwa derjenigen vom Schutz der Bewohner:innen des Donbass und derjenigen der «Entnazifizierung» täuschen lassen.  Putin übernimmt mit der angeblichen «Schutzverantwortung» den Missbrauch dieses Konzepts durch die NATO, die ihn bereits als Vorwand für so viele Kriegsverbrechen benutzt hat. Das Putin-Regime schert sich nicht viel um die Menschen in der Ostukraine, die in seinen Augen nur Schachfiguren für seine geopolitischen Ziele sind. Acht Jahre lang hat Russland nichts unternommen, um die dortigen Kämpfe zu stoppen und die Menschen in diesen Regionen zu schützen. Der Vorwand ihnen «zur Hilfe zu eilen» diente nur dazu einen Krieg zu beginnen, der offensichtlich schon seit mehreren Monaten in Vorbereitung war. Die Verzögerungstaktik des russischen Regimes, das vehement bestritt, eine Invasion vorzubereiten, täuschte viele Menschen. Gleiches gilt für die angeblichen Verhandlungen mit einer Reihe von westlichen Politiker:innen, die sich in Moskau die Klinke in die Hand gaben. Es war vor dem Krieg vernünftig, Joe Biden nicht aufs Wort zu glauben, denn schliesslich haben die USA fast permanent gelogen. So sei an dieser Stelle an den Krieg in Vietnam und an die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein im Irak erinnert – um nur zwei Beispiele zu nennen. Aber im Nachhinein sind Zweifel nicht mehr erlaubt, und das muss man zur Kenntnis nehmen.

Die Streitkräfte der beiden abtrünnigen Volksrepubliken führen mit Unterstützung der russischen Armee eine von ihnen als «Gegenoffensive» bezeichnete Aktion durch, zur «Befreiung» von «vorübergehend ukrainisch besetzten Gebieten», die man als nichts anders als einen Eroberungskrieg bezeichnen kann.

Und das Putin-Regime ist nur in dem Masse «antifaschistisch», wie dies nötig ist, um des grossen Sieges der Sowjetunion von 1945 zu gedenken. Seine Ideologie ist zutiefst antikommunistisch und reaktionär, und seine Verbindungen zur extremen Rechten – sowohl zu solchen Parteien in Europa wie zu entsprechenden Bewegungen im eigenen Land – sind mehr als nur beunruhigend.

Es scheint, dass die russische Armee eine Sonderoperation vorbereitet hatte, die sie in einer Handvoll Tage abzuschliessen hoffte. Sie stiess aber auf der ukrainischen Seite auf weitaus grösseren Widerstand, als sie erwartet hatte. Seitdem entwickelt sich die Militäroperation zu einem Langzeitkrieg mit Taktiken, die drohen, ein Blutbad anzurichten: Belagerung von Städten und wahllose Bombardierungen, von Kriegsverbrechen und Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht ganz zu schweigen.

  1. Was ist der aktuelle politische Kontext in Russland?

Um seine Militäroperationen zu rechtfertigen, hielt Putin wahnwitzige Reden. Sie beinhalteten eine gewaltsame Leugnung der Souveränität der Ukraine als «gescheiterter» und «künstlicher» Staat sowie eine groteske Hetze gegen die UdSSR und Lenin. So als ob Lenin die UdSSR zerstört hätte und nicht Jelzin, Putins Mentor. Was Putin der nationalen Politik Lenins vorwirft, ist, dass sie den Völkern der «Peripherie» nationale Rechte zuerkannt hat, darunter das Recht auf Selbstbestimmung. Für Putin hingegen handelt es sich um koloniale Herrschaftsgebiete, die rechtmässig dem Imperium gehören, das darüber nach Belieben verfügen kann. Und dies auferlegt ihm die selbsternannte Pflicht , «angestammte Gebiete zurückzuerobern». Der Geist dieser reaktionären Rhetorik ist die Verneinung des Völkerrechts selbst, eine Rückkehr zur Welt vor den Vereinten Nationen. Dies ist ein Rückschritt, den wir unter keinen Umständen akzeptieren können. Zwar wird das Völkerrecht nur in geringem Masse angewandt und die Vereinten Nationen sind allzu oft machtlos, aber ein Rückschritt wäre nur im Interesse der Grossmächte. Die Schaffung des Völkerrechts nach dem Zweiten Weltkrieg, bei dem die sozialistischen Länder eine entscheidende Rolle gespielt haben, ist ein unbestreitbarer historischer Fortschritt, den wir nicht einfach verschwinden lassen dürfen.

Seit dem Ausbruch des Krieges versinkt Russland in einer regelrechten Militärdiktatur ‒ auch wenn rechtlich gesehen nicht der Ausnahmezustand ausgerufen wurde ‒, in militärischer Zensur und Despotismus. Selbst das Nennen der Wörter «Krieg» oder «Invasion» ist verboten. Die Verbreitung «falscher Informationen», das heisst jene, die nicht mit den Erklärungen des Verteidigungsministeriums übereinstimmen, wird mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft. Die staatlichen Medien versuchen, ein Klima des Burgfriedens und der nationalistischen Hysterie zu schaffen. Demonstrationen gegen den Krieg werden brutal unterdrückt.

  1. Was ist die Rolle der NATO?

In erster Linie die Verantwortung des russischen Regimes für diesen Krieg anzuprangern, bedeutet jedoch keineswegs, die Rolle der NATO, der EU und der USA zu verschweigen, die 2014 den faschistoiden Maidan-Putsch tatkräftig unterstützt haben. Die westlichen Mächte haben und betreiben weiterhin eine imperialistische und aggressive Politik, die wesentlich zur Destabilisierung der Ukraine beiträgt und sie für ihre eigenen imperialistischen Zwecke benutzt.

Die NATO, die USA und die EU tragen ihren Teil der Verantwortung für den Krieg. Dieser ist nicht geringer als jener von Putins Regime, Sie

  • brachen ihr einst an Gorbatschow gegebenes Versprechen, die NATO «keinen Zollbreit nach Osten auszudehnen»( auch wenn Russland mit dem Angriff auf die Ukraine ebenso die von ihm unterzeichneten Verträge zerrissen hat)
  • verfolgen eine Politik der unverhohlenen Konfrontation mit der Russischen Föderation
  • organisierten unter der Hand die sogenannte «farbige Revolution“ (Maidan-Putsch 2014), um ein prowestliches Regime zu installieren.

Die NATO-Staaten haben weder die moralische Legitimität noch den Willen Frieden und Demokratie zu verteidigen. Ihre Einmischung in die ukrainischen Angelegenheiten ist in höchstem Masse kriegstreiberisch und imperialistisch. Kriegsverbrecher:innen können sich nur auf vollkommen egoistische und heuchlerische Weise zu Verteidiger:innen des Friedens machen. Was ist mit der Souveränität und den Rechten des kubanischen Volkes? Des saharauischen Volkes? Des palästinensischen Volkes?

  1. Wie war die politische Lage in der Ukraine seit 2014?

Wir dürfen auch nicht die Verantwortung der aufeinanderfolgenden ukrainischen Regierungen vergessen. Der Maidan-Putsch, weit entfernt von der sogenannten «demokratischen Revolution», war ‒ das muss man sagen, auch wenn es nicht sehr populär ist ‒ ein faschistoider Staatsstreich. Natürlich kann man die Schuld des damals gestürzten, notorisch korrupten Präsidenten Viktor Janukowitsch und Russlands, das mit seiner unverhohlenen Verachtung für die Ukraine die Unzufriedenheit der Bevölkerung anheizte, nicht leugnen. Doch 2014 kam eine Regierung aus Politiker:innen rechtsextremer Parteien gewaltsam an die Macht und schürte einen extremen Nationalismus, wie unter anderem folgende Fakten aufzeigen:

  • Die Rehabilitierung von Kollaborateur:innen, die sich auf die Seite des Dritten Reichs geschlagen und an dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt hatten. Sie wurden neu zu Nationalhelden erhoben. Der bekannteste von ihnen ist Stepan Bandera
  • Hetze und diskriminierende Massnahmen gegen Russischsprachige
  • «Entkommunisierung», das heisst konkret das Verbot kommunistischer Symbole, Verbot und Verfolgung der Kommunistischen Partei und Zerstörung sowjetischer Denkmäler

Offen faschistische, bewaffnete Gruppen mit neonazistischen Symbolen und sogar Porträts von Adolf Hitler konnten ungestraft Übergriffe, Folter und die Ermordung zahlreicher Oppositioneller begehen, mit aktiver Komplizenschaft des Staates. Die Atmosphäre erinnerte in beunruhigender Weise an Italien am Vorabend der Machtübernahme durch Benito Mussolini.

  1. Warum wird gesagt, dass der Krieg seit 2014 andauert?

Der Krieg begann nicht erst am 24. Februar 2022, sondern dauert bereits seit acht Jahren an. Etwa 14 000 Menschen haben in dieser Zeit ihr Leben verloren (UNO-Zahlen, die sowohl zivile als auch militärische Opfer auf beiden Seiten umfassen). Der Maidan-Putsch, die sichtbaren Machenschaften der extremen Rechten, die Rehabilitierung faschistischer Verbrecher:innen und der entfesselte extreme Nationalismus, führten nur allzu logisch zu einer ablehnenden Reaktion, einer gerechten Empörung im mehrheitlich russischsprachigen Osten der Ukraine. Die an die Macht geputschte ukrainische Regierung hatte nichts Besseres zu tun, als eine Zwangsukrainisierung auf sprachlicher Ebene durchzusetzen. Russisch verlor rechtlich seinen Status als Amtssprache auf regionaler Ebene. Es durfte weder in der Verwaltung noch im Bildungswesen verwendet werden. Kinder, deren Eltern kein Ukrainisch beherrschten, mussten nun in dieser Sprache unterrichtet werden. Diese nationalistische Politik löste logischerweise eine Separatistenbewegung im Osten der Ukraine aus. Die Volksrepubliken Lugansk und Donezk sind unter diesen Umständen entstanden. Der Separatismus im Donbass hatte eine unbestreitbare Legitimität und begann als eine authentische antifaschistische Volksrevolution. Er kann keinesfalls auf eine Operation des russischen Geheimdienstes reduziert werden, auch wenn dieser Aspekt von Anfang an vorhanden war. Vorherrschend wurde dieser Aspekt nachdem praktisch alle Kommunist:innen, die in den Gremien der beiden separatistischen Republiken aktiv waren, unter nicht geklärten Umständen ermordet wurden.

Das aus dem Maidan hervorgegangene Regime suchte nicht nach einer politischen Lösung für die legitime Unzufriedenheit eines Teils seiner Bevölkerung im Osten des Landes. Vielmehr vervielfachte es seine hetzerischen und gerne auch rassistischen Äusserungen gegen russischsprachige Menschen und entfachte einen Bürgerkrieg gegen den separatistischen Donbass. Die Ukraine schickte insbesondere aus Freiwilligen bestehende Neonazi-Bataillone an die Front – echte Freikorps (wie jene, die einst Gustav Noske gegen die Deutsche Revolution ins Feld geführt hatte), die sich nicht an die Gesetze hielten und ungestraft Übergriffe begingen.

Um den Krieg zu beenden und eine politische Lösung zu finden, wurde 2015 das Minsker-Abkommen vereinbart, das die Ukraine zwar unterzeichnet, aber nie eingehalten hat. Die ukrainische Regierung hat keines ihrer damaligen Versprechen gehalten und die Lage im Donbass nur noch weiter verschärft. In dieser Hinsicht trägt auch sie ihren Teil der Verantwortung am Krieg, so wie das Regime in Moskau. Russland versuchte ebenfalls nicht, diesen kriegerischen Konflikt zu beenden. Vielmehr sorgte es dafür, dass die Situation weiter entgleiste, um ein Druckmittel gegen die Ukraine zu haben. Sowohl das Regime in Kiew als auch das in Moskau sind für die Situation mitverantwortlich. Auch die imperialistischen NATO-Mächte tragen eine nicht zu unterschätzende Verantwortung, da sie wissentlich Öl ins Feuer gegossen und die Ukraine in eine absolute Gegenposition zu Russland gedrängt haben. Aufgrund dieser Strategie der Spannung war keine politische Lösung für den ukrainischen Bürgerkrieg möglich, und die derzeitige russische Invasion ist in gewisser Weise die Fortsetzung dieses seit acht Jahren andauernden Konflikts, wenn auch auf einem qualitativ höheren Niveau.

Heute, unabhängig vom Ausgang dieses Krieges, erfordert die Donbass-Frage eine politische Lösung, die das Recht der Völker auf Selbstbestimmung respektiert. Und zwar aller Völker, des ukrainischen, aber auch der Bewohner:innen des Donbass. Etwas anderes zu sagen wäre ukrainischer Nationalismus, und das ist eine Position, die wir nicht akzeptieren können. Insbesondere die sprachlichen Rechte der russischsprachigen Bevölkerung müssen voll und ganz respektiert werden. Es sei daran erinnert, dass dies auch eine Forderung des Völkerrechts ist.

  1. Was ist mit der Krim?

Was die Frage der Krim betrifft, so muss man differenziert vorgehen. Als historisch russische Region, die 1954 administrativ an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR) angegliedert wurde, konnten ihre Bewohner:innen den Auswuchs des ukrainischen Nationalismus und die erzwungene Ukrainisierung nach dem Maidan-Putsch nur als unerträgliche Gewalt erleben. Die Art und Weise, wie die Krim damals an Russland angeschlossen wurde (Entsendung von Soldaten ohne Abzeichen, Durchführung eines Referendums unter De-facto-Besatzung) stellt unbestreitbar einen nach internationalem Recht unhaltbaren Gewaltakt von Wladimir Putin dar. Er schaffte so eine Situation, die nur äusserst schwer zu normalisieren ist. Es ist aber auch klar, dass das Ergebnis des Referendums der tatsächlichen Meinung der Mehrheit der Wähler:innen entsprach. Die PdAS kann unter keinen Umständen Forderungen unterstützen, die einer Rückgabe der Krim an die Ukraine gleichkommen. Schon gar nicht, wenn dies eine erzwungene Ukrainisierung, insbesondere auf sprachlicher Ebene, bedeutet. Die Krim ist nicht einfach ein Stück Land, das je nach Machtverhältnissen von einem Staat auf den anderen übertragen werden kann. Es bedarf einer politischen Lösung, die sich nicht gegen den Willen der Bevölkerung dieser Halbinsel richten darf

Zu behaupten die Ukraine sei ein «faschistischer» Staat und müsse daher «entnazifiziert» werden, wie dies Putin tut, ist falsch. Die Entwicklung nach dem Maidan-Putsch bedarf einer differenzierten Betrachtung. Die extreme Rechte konnte sich nicht durchsetzen. Im Jahr 2019 verlor sie die Wahlen zur Rada (Parlament) mit einem mickrigen Ergebnis. Volodymyr Zelenski gewann die Präsidentschaftswahlen gegen Petro Poroschenko, den aus dem Maidan hervorgegangenen Präsidenten. Zelenski gewann mit einer verschwommenen, populistischen «Alle sind verdorben ausser wir»-Propaganda, deren Kern jedoch die Ablehnung des vorherigen Regimes war. Seine Partei «Diener des Volkes» gewann die absolute Mehrheit im Parlament. Dieses Ergebnis kann nicht anders als als eine Niederlage der faschistischen Kräfte an den Wahlurnen interpretiert werden.

Die derzeitige ukrainische Regierung ist nicht faschistisch. Zelenski bezeichnet sich selbst als «libertär» und ist sicher neoliberal, korrupt und bis zu einem gewissen Grad nationalistisch. Die extreme Rechte wurde aber in ihre Schranken verwiesen und konnte nicht mehr nach Belieben schalten und walten. Die Neonazi-Bataillone wurden jedoch in die reguläre Armee integriert. Ausserdem wurde niemand, der für die von der extremen Rechten begangenen Verbrechen verantwortlich war, strafrechtlich verfolgt, und die Faschist:innen sind weiterhin in Gesellschaft und Staat präsent. Doch die Ukraine ist in dieser Hinsicht leider keine Ausnahme. Viel zu viele Länder auf der Welt leiden unter demselben Übel, das mit dem völlig reaktionär gewordenen Kapitalismus einhergeht ‒ darunter auch unser Land.

Es gibt keine Legitimation, ein Land durch Überfall und Bombardierung seiner Städte zu «entnazifizieren». Und: Die reaktionäre Diktatur der Oligarchen im Kreml kann einem anderen Land kaum demokratische Reformen bringen. Wenn Veränderungen in der Ukraine notwendig sind, müssen sie von den Ukrainer:innen selbst herbeigeführt werden.

  1. Die Analyse liegt vor, was ist jetzt zu tun?

Die PdAS ist absolut gegen jede Waffenlieferung, jede militärische Unterstützung, jede Entsendung von Truppen (regulär oder als Söldner:innen) und gegen eine Flugverbotszone seitens der NATO-Mitgliedsländer, erst recht seitens der Schweiz. Sicherlich ist die Ukraine als angegriffenes Land im Recht, wenn sie sich mit Waffengewalt verteidigt. Aber die direkte oder indirekte Verwicklung weiterer imperialistischer Mächte in diesen Krieg wird dadurch nicht legitim. Die faktische militärische Unterstützung der ukrainischen Kriegsanstrengungen durch die NATO-Mächte wird nicht von schönen Prinzipien diktiert. Diese wenden  diese Mächte weder auf sich selbst noch auf die mit ihnen verbündeten Regime an. Die militärische Unterstützung ist vielmehr Teil einer interimperialistischen Konfrontation zwischen der NATO und der Russischen Föderation. Eine Konfrontation, die vermittels der Ukraine geführt wird, deren Schicksal den beteiligten imperialistischen Mächten sehr egal ist. Das Ziel dieser Einmischung ist nicht der Frieden, sondern die Niederlage der russischen Armee ‒ oder zumindest ihr möglichst hohe Verluste zu verursachen. Dies bedeutet eine Verlängerung des Krieges und noch grössere Zerstörungen und birgt auch das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen Russland und der NATO, mit der realen Gefahr eines Atomkriegs.

Eine konsequente antiimperialistische Politik bedeutet, diese kriegerischen Pläne des Imperialismus entschieden zu bekämpfen und sich nicht dem Druck der «heiligen Allianz» zu beugen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Schweiz trotz ihrer offiziellen Neutralität de facto Teil des westlichen Lagers ist. Ihre Verbindungen zur EU und zur NATO sind keine Einbildungen. In dieser Hinsicht besteht unsere Hauptverantwortung darin, unseren eigenen Imperialismus zu bekämpfen und seine kriegstreiberischen Machenschaften zum Scheitern zu bringen, auch wenn er den jetzigen Krieg nicht ausgelöst hat und diese Position nicht immer einfach zu vermitteln ist.

  1. Warum sind die Sanktionen abzulehnen?

Die PdAS lehnt die Politik der einseitig von den westlichen Ländern verhängten Sanktionen ab. Wir verstehen zwar, dass die Handlungen des Putin-Regimes berechtigte Empörung hervorrufen. Aber man muss sich die Mühe machen, über diese Politik unter dem Gesichtspunkt ihrer Folgen und der tatsächlichen Ziele, die auf dem Spiel stehen, nachzudenken, und nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Moral. Wenn die westlichen Länder, die Sanktionen verhängen, dies tatsächlich im Namen der Menschenrechte und der Ablehnung des Krieges täten, müssten ausser Russland noch viele andere Staaten mit Sanktionen belegt werden: Saudi-Arabien, die Türkei, Israel, Marokko (das die Westsahara illegal besetzt) … angefangen mit den USA selbst, der grössten Bedrohung für den Weltfrieden. Andere Länder hingegen ‒ insbesondere Kuba und Venezuela ‒ werden mit einem, illegalen und kriminellen Wirtschaftskrieg überzogen. Dies, obwohl sie niemanden angegriffen haben. Der einzige Grund ist, dass ihre Völker einen Weg gewählt haben, der dem Imperium missfällt. Schweizer Unternehmen wenden diese illegalen Sanktionen de facto an, und die Eidgenossenschaft lässt dies unter Missachtung ihrer proklamierten Neutralität zu.

Die bisher von den westlichen Ländern gegen Russland verhängten Sanktionen sind weit davon entfernt, nur auf die Interessen des Regimes und der mit ihm verbundenen Oligarchen abzuzielen. Sie kommen einem regelrechten Wirtschaftskrieg gegen Russland und seine Bevölkerung gleich. Die Sanktionen haben zum Ziel, eine Hyperinflation und einen Zusammenbruch der russischen Wirtschaft zu verursachen. Die einzige Möglichkeit, die Sanktionen noch weiter zu verschärfen, wäre die Verhängung einer totalen Blockade. Dieser Wirtschaftskrieg wird die gegenwärtige Invasion nicht beenden. Er trifft die Ärmsten und wird die Armut verstärken und zur weiteren Verelendung der russischen Bevölkerung führen. Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Länder räumen ein, dass die Wirkung der Sanktionen zeitlich verzögert ist und erst in einigen Wochen voll zum Tragen kommen wird. Das Regime und die Oligarchen werden sie überleben und ihre Privilegien durch eine verstärkte Ausbeutung der russischen Arbeiter:innenklasse aufrechtzuerhalten wissen. Die Auswirkungen auf die russische Arbeiter:innenklasse werden hingegen verheerend sein und diese ins Elend stürzen. Paradoxerweise könnte dies sogar das Putin-Regime stärken, das leichtes Spiel haben wird, den Westen für alles Übel verantwortlich zu machen und seine Diktatur durch ein Klima der «belagerten Festung» zu verschärfen.

Die Sanktionen werden in geringerem, aber spürbarem Masse  auch den Menschen in Europa schaden – das tun sie bereits, durch die Preissteigerungen, die sie bewirken und bewirken werden. Am sichtbarsten sind derzeit die Auswirkungen auf die Öl- und Gaspreise.

Es ist nicht akzeptabel, dass diese Preissteigerungen an die Verbraucher:innen weitergegeben werden und die Profite der Monopole geschützt. Die erhöhten Preise treffen vor allem all diejenigen, die ein geringes Einkommen haben. Wir müssen uns mit allen Mitteln dagegen wehren, dass die Arbeiter:innenklasse die Rechnung bezahlen muss, und die Kaufkraft verteidigen. Die EU plant, bis 2027 ohne russisches Gas auszukommen, indem sie die Energiewende beschleunigt und wahrscheinlich auch die Kernenergie wiederbelebt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass es weiterhin notwendig ist, in absehbarer Zeit auf fossile Energien zu verzichten, und dass billiges Öl und Gas keine Lösung für die Zukunft sind.

Die Sanktionen beinhalten aber auch die Gefahr grausamer Auswirkungen auf die Völker der Dritten Welt, die absolut nichts für die Situation können. Der Rückgang der Getreide- und Düngemittelexporte aus Russland und der Ukraine und der massive Anstieg der Preise für Grundnahrungsmittel, wird für zu viele Menschen auf dem Planeten eine Frage von Leben und Tod werden.

  1. Was ist sofort zu tun?

Es ist jetzt wichtig, die Kriegshandlungen aller Seiten entschieden anzuprangern, zu Frieden und Deeskalation aufzurufen, die Antikriegsbewegung sowie den Kampf der Arbeiter:innen in Russland gegen ihr Regime zu unterstützen. Wir müssen uns auch für einen Waffenstillstand und eine diplomatische Lösung des Konflikts einsetzen, die endlich die Einstellung der Kämpfe und eine Rückkehr zum Frieden ermöglicht.

Eine diplomatische Lösung ist nur denkbar, wenn sie die legitimen Forderungen nach Sicherheit und Souveränität erfüllt und solide Garantien bietet, und zwar für alle beteiligten Parteien, die Ukraine und Russland. Das bedeutet auch, dass die NATO ihre Politik der Eskalation und der Ostexpansion beenden muss. Ein neutraler Status der Ukraine könnte eine Lösung sein. Dies aber nur unter der Bedingung, dass die Souveränität und Sicherheit des ukrainischen Staates ebenfalls garantiert und respektiert wird. Eine politische Lösung erfordert schliesslich auch die Festlegung des Status der Krim sowie der Volksrepubliken Donezk und Lugansk, die den Willen der Menschen in diesen Regionen respektiert.

In der unmittelbaren Zukunft müssen wir uns für die bedingungslose Aufnahme von Flüchtlingen und für humanitäre Hilfe einsetzen. Der Bund hat sich dazu verpflichtet, und das ist gut so. Aber diese Solidarität sollte für alle Flüchtlinge gelten. Warum werden Menschen, die vor dem Krieg in Syrien, Kurdistan, Afghanistan, den vom Imperialismus verursachten Verwüstungen in Afrika… fliehen, hinter Stacheldraht, mit diskriminierenden und die Menschenwürde verleugnenden Massnahmen aufgenommen oder im Mittelmeer ertrinken gelassen? Es ist unsere Pflicht, dieser Festung Europa und dem institutionalisierten Rassismus ein Ende zu setzen.

  1. Warum muss die Aufrüstung dringend verhindert werden?

Der Krieg in der Ukraine ist auch ein Grund ‒ oder vielleicht ein bequemer Vorwand ‒ für die Wiederbelebung des Wettrüstens und des Militarismus in ganz Europa. Wenn es Putins Ziel war, keine bis an die Zähne bewaffnete NATO mehr vor seiner Haustür zu haben, dann hat er genau das Gegenteil erreicht. Viele Länder haben beschlossen, ihre Militärbudgets substanziell zu erhöhen. Die Ukraine, Moldawien und Georgien haben einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, und Schweden und Finnland könnten der NATO beitreten. Deutschland, mit einer SPD-geführten Regierung, hat beschlossen, seinen Militärhaushalt erheblich zu erhöhen. Die russische Invasion in der Ukraine hat die psychologischen Ketten gesprengt, die bisher eine Renaissance des deutschen Militarismus verhinderten, was nicht ohne Grund besorgniserregend ist. Und die EU könnte die Gelegenheit nutzen ihren Zusammenschluss qualitativ zu verändern und sich mit einer eigenen Armee auszustatten. Die Mitgliedsländer trafen sich am 11. März in Versailles, um darüber zu diskutieren. Aus diesem Gipfel ging wenig Konkretes hervor. Trotzdem ist klar, dass die EU den Weg zu einer stärkeren Vereinheitlichung, einer stärkeren Zentralisierung und einer sich entwickelnden Militärmacht beschreitet. Eine politisch geeinte EU mit einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die über ein grösseres Gewicht und eine grössere Unabhängigkeit auf der internationalen Bühne verfügt, wäre ein weiteres Imperium, das seine eigenen Interessen notfalls mit Waffengewalt verteidigt. Es gibt keinen ernsthaften Grund für die Annahme, dass die EU der Monopole und Eurokraten ein besseres oder friedlicheres Imperium als andere wäre. Wir stellen uns diesem imperialen Projekt entschieden entgegen. Auch dies ist ein Grund mehr, uns dagegen zu wehren, dass die Schweiz ihr Schicksal allzu sehr an das neu entstehende Imperium EU bindet.

Die tragische Situation in der Ukraine wurde auch für ein Comeback des Militarismus in der Schweiz ausgenutzt: Forderungen nach einer Erhöhung des Budgets und der Truppenstärke der Armee, Druck auf den Rückzug der Initiative gegen den Kauf der F-35 wurden laut. Vereinzelte Stimmen sprechen sich sogar für einen Beitritt der Schweiz zur NATO oder zumindest für eine verstärkte Zusammenarbeit mit diesem Militärblock aus. Die Politik in unserem Land wird offensichtlich noch eine Weile von dieser sicherheitspolitischen, reaktionären und militaristischen Agenda beherrscht werden. Wir müssen uns diesem Wettrüsten, das die Kriegsgefahr nur erhöht, entschieden widersetzen, sowie eine Politik des Friedens und der Neutralität (in Ermangelung eines besseren Begriffs) verteidigen.

Auch sollte über den schrecklichen, entsetzlichen Rückschritt nachgedacht werden, in den die Zerstörung des Sozialismus die ehemaligen sozialistischen Sowjetrepubliken geführt hat. Denn die Tragödie dieses Krieges zeigt in aller Deutlichkeit, an welche Abgründe die Restauration des Kapitalismus diese Länder geführt hat.

Partei der Arbeit der Schweiz
17. März 2022