Arbeitskampf im Bauhauptgewerbe
Wegen des Vorgehens und der absurden Forderungen der Baubosse stecken die Verhandlungen für die Erneuerung des Gesamtarbeitsvertrags auf dem Bau in der Sackgasse. Von grosser Bedeutung ist die landesweite Mobilisierung, die im Tessin ihren Anfang fand.
Eine Arbeitszeit von bis zu 50 Stunden pro Woche, mehr als doppelt so viele Überstunden zu tieferer Entschädigung, Arbeit auf Abruf, Streichung des generellen Lohnzuschlags von 25 Prozent für Samstagsarbeit und Lohnreduktionen für gelernte Bauarbeiter:innen in den ersten fünf Jahren nach Lehrabschluss; zudem sollen langjährige Bauarbeiter:innen über 55 schneller entlassen werden können – so lauten die Forderungen des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV). Kein Wunder, dass die Bauleute ihre Wut auf die Strassen tragen. Den Anfang machte der Kanton Tessin am Montag, 20.Oktober: 2500 Bauarbeiter:innen legten ihre Arbeit nieder und führten eine eindrucksvolle Demonstration in Bellinzona durch.
Es droht ein vertragsloser Zustand
«Auf dem Spiel steht der Landesmantelvertrag», erklärt Leonardo Schmid, Unia-Funktionär in Locarno, dem vorwärts. «Die Bauleute im Tessin haben die richtige Antwort auf den Angriff der Baumeister gegeben», hält er fest. 90 Prozent der «grossen und wichtigen Baustellen» wurden stillgelegt, darunter die Renovationsarbeiten an einem Autobahnabschnitt und der Neubau des Fussballstadions in Lugano. «Besonders zu erwähnen ist, dass viele junge Bauleute am Protesttag teilgenommen haben», unterstreicht Schmid – ein gutes Zeichen für die Zukunft.
Der Landesmantelvertrag (LMV) ist der Gesamtarbeitsvertrag für das Bauhauptgewerbe. Er regelt die Löhne und Arbeitsbedingungen der rund 80’000 Bauarbeiter:innen in der Schweiz, die im Hoch-, Tief-, Strassen- und Tunnelbau tätig sind. Das Regelwerk läuft Ende des Jahres aus. Daher sind Neuverhandlungen zwischen den Verhandlungspartnern – also den Gewerkschaften Syna und Unia einerseits und dem SBV andererseits – notwendig. Einigen sich diese bis Ende 2025 nicht auf einen neuen Vertrag, droht per 1. Januar 2026 ein vertragsloser Zustand auf dem Bau – Tür und Tor für Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen stünden den Baubossen weit offen.
«Es ist absurd»
Ein zentraler Verhandlungspunkt sind die Arbeitszeiten: Eine Analyse des SBV prognostiziert, dass bis 2040 ein Drittel der benötigten Fachkräfte fehlen wird. Den Grund dafür erklärt eine weitere Studie im Auftrag des Bündnerischen Baumeisterverbands. Darin heisst es: «Die langen Präsenzzeiten erschweren die Vereinbarkeit mit familiären Verpflichtungen und die gesellschaftliche Vernetzung.» Die Konsequenz: Eine von zwei ausgebildeten Baufachkräften kehrt der Branche den Rücken. «Es ist absurd», erklärt Kollege Schmid, «die Patrons klagen über fehlende Fachkräfte, wollen aber gleichzeitig die Arbeitszeiten verlängern – obwohl ihre eigenen Untersuchungen und Analysen die viel zu langen Arbeitstage als Problem erkennen.»
Für die Unia ist klar: «Anständige Arbeitszeiten sind die Voraussetzung für eine Lösung im aktuellen Arbeitskonflikt auf dem Bau», hält sie in ihrer Stellungnahme von Mitte Oktober fest. Entsprechend sind auch die Forderungen der Bauleute: Schluss mit unbezahlter Reisezeit vom Betrieb zur Baustelle; bezahlte Znüni-Pause, so wie es in anderen Berufen längst Standard ist; kürzere Arbeitstage – denn acht Stunden harte Arbeit sind genug – sowie ein garantierter Teuerungsausgleich zur Sicherung der Kaufkraft.
Neue Qualität des Angriffs
Das Säbelrasseln zwischen den Gewerkschaften und dem SBV während der Verhandlungsphase ist nichts Neues. Es gehört dazu, wie auch der Blick auf die letzten Verhandlungen vor vier und acht Jahren zeigt. Am Ende traf man sich bei einem Kompromiss, der von der jeweiligen Basis abgesegnet wurde – teilweise murrend. Zugutehalten muss man den Gewerkschaften, dass ohne die Mobilisierung der Kompromiss für die Bauleute wohl schlechter ausgefallen wäre.
Von neuer Qualität ist jedoch der Angriff des SBV. «Anstatt auf die Anliegen der Bauarbeiter:innen einzugehen – oder überhaupt auf seriöse Verhandlungen, die auf Treu und Glauben beruhen – legte der Baumeisterverband zu Beginn der Verhandlungen einen über 50-seitigen Text vor und deklarierte, dies sei der neue LMV, den die Gewerkschaften als Verhandlungsgrundlage zu akzeptieren hätten», erklären Syna und Unia in einer Stellungnahme vom 16. Oktober.
Was also in den letzten Jahrzehnten immer die Verhandlungsbasis war, sprich der gerade geltende LMV, wird vom SBV über den Haufen geworfen. Die Begründung zu ihrem Vorgehen: «Es soll kein Flickenteppich auf der Basis des bestehenden LMV entstehen, sondern ein modernes, praxisnahes Regelwerk mit klaren Mindeststandards, die effektiv vollzogen werden können», erklärt Maurizio Pirola, Präsident des Graubündnerischen Baumeisterverbands und Mitglied des Zentralvorstands des SBV, in einer Stellungnahme vom 17. Oktober. Was Pirola in neoliberaler Lügensprache sagt, zeigt sich in den Forderungen des SBV: Modern und praxisnah stehen für die Aushöhlung des LMV und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Bauleute.
Streiken!
Wie geht es nun weiter? Bis Ende Oktober ist eine weitere Verhandlungsrunde vorgesehen, bei der keine grossen Fortschritte zu erwarten sind – die Positionen liegen noch weit auseinander. Dies bestätigt auch Unia-Kollege Schmid: «Die Verhandlungen stecken in einer Sackgasse. Der Ausgang ist noch völlig offen – umso wichtiger ist daher die Mobilisierung der Bauleute.» Diese Mobilisierung findet landesweit statt und soll ihren vorläufigen Abschluss am 14. November in Zürich und anderen Teilen der Deutschschweiz finden.
Quelle: vorwärts



